Ein Kunstwerk ohne rechte Winkel

by Francesca Prader

Mit dem Bahnhof Stadelhofen begann Calatravas Karriere. Sein neuster Streich prägt den Ort ein zweites Mal.

Wie eine Skulptur aus Glas: Die Hülle des Hauses zum Falken besteht aus 260 einzeln angefertigten Glaselementen. Michael Buholzer / Keystone

Es gibt wenige neue Gebäude, die das Zürcher Stadtbild in den letzten Jahren nachhaltig geprägt haben. Zu nennen wären der Prime Tower (2011) oder die Erweiterungsbauten des Landesmuseums (2016) und des Kunsthauses (2021). Mit dem Haus zum Falken von Santiago Calatrava ist nun ein Bau dazugekommen, der das Gesicht des Bahnhofs Stadelhofen gründlich verändert hat.

Dass der imposante Glasbau mit seiner geschwungenen Form an eine überdimensionale Skulptur erinnert, kommt nicht von ungefähr. Als Inspiration für die Aussenhülle des Gebäudes dienten dreidimensionale Wandinstallationen aus bunten Aluminiumlamellen, mit denen Calatrava das Spiel von Licht und Schatten künstlerisch erforschte.

In verschiedenen Wandinstallationen beschäftigte sich Santiago Calatrava mit dem Spiel von Licht und Schatten. Giorgio von Arb und Tres Camenzind / Pro Litteris Zürich

Bei der Fassade des Hauses zum Falken geht es nicht nur um diesen Wechsel. Für Calatrava sind die Grenzen zwischen Architektur und Kunst fliessend. «Architektur ist ein plastisches Ereignis. Das Haus zum Falken ist ein abstraktes Kunstwerk», sagte der 74-Jährige am Dienstag anlässlich eines Medienrundgangs.

Das Haus ohne rechte Winkel

Je nach Tageszeit, Wetter und Lichteinfall wirkt das Gebäude anders, mal weiss, mal dunkelgrau. Im Inneren werfen die Ränder der 260 millimetergenau angefertigten Fassadenelemente längere und kürzere Schatten, wie bei einer Sonnenuhr. Aber auch die Umgebung – das Grün der Bäume oberhalb des Bahnhofs Stadelhofen, der Bahnhof selber, die Trams und die Autos – spiegelt sich darin wider.

Wie eine riesige Sonnenuhr: Im Inneren werfen die Ränder der Fassadenelemente längere und kürzere Schatten. Michael Buholzer / Keystone

Calatrava ist ein Architekt der grossen Würfe: Bahnhöfe, Stadien, Brücken. Das Haus zum Falken mag für das Zürcher Empfinden wuchtig sein. Schon vor dem Bau erhielt es verschiedene Spitznamen, manche verglichen es mit einer Hochseejacht, andere mit einem gestrandeten Wal. Calatrava selbst sagt dazu: «Es ist kein grosses Haus.»

Die Kleinteiligkeit der Fassade wiederholt sich auch im Inneren des Gebäudes – etwa in der Lobby am schmalen Ende des Hauses, durch die man in die oberen Geschosse gelangt: Die Wand, die den Eingangsbereich vom Treppenhaus trennt, hat die gleiche lamellenartige Dreidimensionalität. Rechte Winkel sucht man vergeblich.

Im Treppenhaus treffen runde Formen auf gerade Linien. Michael Buholzer / Keystone
Mit dem Bahnhof Stadelhofen begann Calatravas Karriere. Der Stadt Zürich ist er treu geblieben. Michael Buholzer / Keystone

In den obersten Geschossen des Hauses zum Falken wähnt man sich auf einer Aussichtsplattform. Bis auf die Stahlträger, die die geschwungenen Formen der Stahlelemente des Bahnhofs Stadelhofen aufnehmen, ist der Ausblick frei. «Schon draussen fühlt man sich drinnen», sagt Calatrava.

Alles begann mit einem Balkon

Für den gebürtigen Spanier war der Auftrag der Axa-Anlagestiftung auch eine Rückkehr zu den eigenen beruflichen Wurzeln. Hier am Stadelhofen hat Calatravas Karriere ihren Anfang genommen. Mit der ihm eigenen Begeisterung erzählt er von seinem ersten Projekt hier – nicht der Bahnhof selber, sondern ein kleiner Stahlbalkon am Baumwollhof an der Stadelhoferstrasse.

Dieser Balkon, sagt Calatrava, sei quasi die Übungsanlage für die Brücken am Bahnhof Stadelhofen gewesen. Die geschwungenen Stahlelemente finden sich in der Pergola über dem Bahnhof und jetzt auch im Haus zum Falken wieder.

Mit dem Bau des Bahnhofs Stadelhofen nahm Calatravas Karriere Fahrt auf. «Er brachte mir andere Bahnhöfe.» Von Lyon in Frankreich über Liège in Belgien bis nach Lissabon in Portugal – und von dort weiter in die ganze Welt. Der Stadt Zürich ist er dennoch treu geblieben. Hier lebt er mit seiner Frau, hier hat er seine Kinder aufgezogen.

Ein Gebäude zu entwerfen und zu realisieren, sei immer auch ein Beitrag zum Ort, an dem es steht, sagt Calatrava. Das Haus zum Falken sei dabei keine Ausnahme. Wo früher die Treppenstufen zum Café Mandarin waren, ist heute ein freier Platz. Rund zwölf Meter ist die Grundfläche von Calatravas Bau nach hinten versetzt, jedes der oberen Geschosse ragt ein bisschen weiter nach vorne. Jetzt, wo nach zweieinhalb Jahren Bautätigkeit die Baustelleninstallationen abgebaut sind, kommt der gewonnene Raum zur Geltung.

Der zweite Platzgewinn, den das Haus zum Falken mit sich bringt, ist die Velostation in den unteren Geschossen. Gut 800 Fahrräder können dort abgestellt werden – statt wie jetzt mitten auf dem Stadelhoferplatz.

Confiserie und Arztpraxen

Fast genau zwei Jahre nach der Grundsteinlegung ist Calatravas Arbeit am Haus zum Falken abgeschlossen. Zur Vollendung des Gebäudes fehlt nur noch der Innenausbau. Voraussichtlich Ende Jahr wird die Confiserie Bachmann im Erdgeschoss direkt am Bahnhof eine Filiale eröffnen.

In den oberen Etagen kommen verschiedene medizinische Angebote unter. Sämtliche Flächen seien bereits vermietet, heisst es vonseiten der Axa-Anlagestiftung. Beispielsweise an eine Frauen-Permanence des Spitals Zollikerberg sowie an Praxen aus dem Bereich der inneren Medizin und der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.

Ein Bau, der seine Umgebung prägt, sie aber auch spiegelt. Michael Buholzer / Keystone

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